Modulares Bauen kann mehr als Schuhschachtel-Architektur. Auch Individualisten können auf ihre Kosten kommen.
Bei dem Wort „Modulbau“ denken die meisten an klobige und öde Massenware, an eine Art Lego für Erwachsene aus Beton und Stahl. Mit der Realität hat das wenig zu tun. Das Gegenteil beweisen aufsehenerregende Bauwerke wie die Wissens- und Erlebniswelt Experimenta in Heilbronn oder das Stadtquartier Four in Frankfurt am Main. Die Architektur dieser Gebäude ist einzigartig – und modular.
Damit die individuellen Gestaltungsansprüche und Bedarfe der Bauherrn erfüllt werden, müssen jeder Architekturentwurf und alle technischen Gebäudekonzepte in Module übersetzt werden. Diese Module werden in Katalogen zusammengefasst und hier systematisch integral bearbeitet. Ziel ist, dass gleiche Flächen und Konstruktionen – wie etwa Büroräume oder Sanitärbereiche - nur einmal geplant werden.
Die Idee von konfigurierbaren Gebäuden
Der Schlüssel für die effiziente Modularisierung ist die Digitalisierung des gesamten Entwurfs im Rahmen eines BIM-Modells. BIM steht für die Planungsmethode Building Information Modeling, einer Art digitales Gedächtnis für Gebäude. BIM zielt darauf ab, einen digitalen Zwilling von Gebäuden und ihrer Teilsysteme zu schaffen. Dieses Modell bildet die Grundlage für die Modularisierung. Im ersten Schritt der modularen Planung wird der Entwurf in einem Projektkoordinatensystem abgebildet. Es ordnet die Geometrie des Gebäudes von den kleinsten bis zu den größten Strukturen in möglichst regelmäßige Teilflächen. Alle Räume und Bauteile werden auf dieses Projektkoordinatensystem bezogen und erhalten hierüber eine eindeutige Ortskennzeichnung.
Anschließend erfolgt die Zerlegung des Entwurfs in Teilaufgaben. Dazu zählen Nutzungsmodule wie beispielsweise unterschiedliche Büros, Besprechungs- und Teamräume, aber auch Garderoben und Teeküchen. Die zugehörigen Heiz-, Kühl- und Lüftungskomponenten sowie die gesamte Elektrik werden in Technikmodule gegliedert.
Daraus entsteht ein Modulkatalog – und ein enormer Effizienzvorteil. Denn viele Module wie Schächte und Flure, aber auch bestimmte Bürotypen kommen mehrfach im Gebäude vor. Sie müssen aber nun nur einmal geplant werden – und können dann kopiert und in die Ausführungsplanung integriert werden. Ein Restriktionsplan gibt dabei die Schnittstellen und die Spielregeln vor, wie die Module auf dem Projektkoordinatensystem verortet werden dürfen.

Vom Strukturplan zum Modulkatalog
Eine zentrale Herausforderung bei der Planung von Großprojekten ist die Integration der hohen Zahl von Einzelsystemen. Die modulare Planung orientiert sich dabei an erfolgreichen Ansätzen aus der Industrie: Nach dem Vorbild des Automobilbaus wird das Großprojekt im BIM-Modell in überschaubare Teilaufgaben zerlegt, die relativ unabhängig voneinander bearbeitet werden können. Wie im Autobau gliedern sich die Teams in Hauptaufgaben: Was für die einen der Motor, ist für den anderen die Haustechnikzentrale, und wo ein Team sich um Armaturen kümmert, ist das andere für den Innenausbau zuständig.
Stehen diese Entwürfe fest, wird im nächsten Schritt eine geometrische Grundordnung festgesetzt. Jetzt beginnt die eigentliche Modularisierung: Die Planerinnen und Planer suchen nun nach den Wiederholungen im Entwurf, fassen sie in Modulen zusammen und integrieren diese in einem interdisziplinären Prozess. Orte, die mehrfach vorkommen – wie etwa Büros, Sanitärräumen oder Flurkoffer – werden also nur einmal geplant und koordiniert. Die Komplexität wird auf diese Weise auf ein Minimum reduziert.
Das Ergebnis ist ein Gebäudeentwurf, der wie ein Produkt entwickelt wird. Die Bausteine lassen sich in einem abgestimmten Regelwerk nach Kundenwusch zusammenstellen. Die Planung wird – wie bei der Autobestellung – zu einer Konfiguration. Aus den Modulen können die gewünschten Konstruktionen und Räume per „Plug&Work“ in das Gebäudemodell eingefügt werden. Der Entwurfsprozess wird deutlich schlanker, das Entwurfsergebnis integrierter und einfacher. Auch Bau- und Betriebsprozesse sind durch die Modularität bereits vorgedacht, strukturelle Planungsfehler werden so von vornherein vermieden. Zudem sind die Module Planungs-, Logistik- und Montagestandards in einem. Sie können im Idealfall komplett industriell vorgefertigt und rationell auf der Baustelle montiert werden.
Oftmals lassen sich bereits durch kleinste geometrische Korrekturen die Vielfalt der Konstruktionen deutlich reduzieren, ohne dabei die Funktionalität oder die architektonische Wirkung zu beeinträchtigen. Bei der Experimenta in Heilbronn konnte beispielsweise die Fassadenkonstruktion so optimiert werden, dass aus anfangs über 200 unterschiedlichen Fassadenelementen am Ende noch 50 übriggeblieben sind. Optisch ist der Unterschied kaum zu erkennen.
Das Besondere an der BIM-basierten Modularisierung ist damit, dass – anders als beim Baukastensystem mit vorgefertigten Modulen - kreative Ideen keinen Standardlösungen zum Opfer fallen. Die Planerinnen und Planer bekommen mit dieser Methode vielmehr auch komplexe Gebäude mit schwierigen Geometrien systematisch in den Griff. Dadurch lässt sich die Bauzeit signifikant verkürzen – bei gleichbleibender räumlicher, gestalterischer und gebäudetechnischer Qualität.
Ein Plus für Nachhaltigkeit
Ob Wohnung, Kita, Schule oder Bürogebäude – serielles Bauen ist schneller, effizienter und nachhaltiger als die konventionelle Bauweise. Zudem steigert die Vorfertigung die Qualität der Bauteile, da die einzelnen Module millimetergenau produziert werden können, was auch die Arbeit auf der Baustelle erleichtert. Und noch einen weiteren Vorteil hat die BIM-basierte Modularisierung: Sie macht das spätere Recycling einfacher, denn jeder Baukasten ist in seinem digitalen Zwilling genauestens beschrieben.
Auf diese Weise lassen sich bereits in frühen Planungsphasen ressourcenschonende Konzepte über den gesamten Lebenszyklus entwickeln. Die Module können am Ende eines Lebenszyklus einfach demontiert und bei Bedarf an anderer Stelle wieder eingesetzt werden. Durch diese recyclingfähige Bauweise sind langfristig auch Leasing-Modelle für Bauherren denkbar: Am Ende der Vertragslaufzeit oder der Nutzungszeit des Gebäudes können die Module wieder entnommen werden und dienen entweder als Basis für neue Gebäude oder als eine Art „Rohstofflager“ der Einzelteile.